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Susann Stein

Politik und Kommunikation/ Pressesprecherin
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Gemeinsame Erklärung: Lasst den Mittelstand nicht im Stich!

Berlin lebt von seinem Mittelstand

Der Mittelstand ist das Rückgrat der Berliner Wirtschaft. Unzähliges von dem, was unsere Stadt so attraktiv, lebenswert und weltweit beachtet macht, entsteht im Berliner Mittelstand: Ein blühendes touristisches Angebot, eine innovative Gastronomie von der Kiezküche bis zum Sternerestaurant, ein vielfältiger Einzelhandel vom nachhaltigen Lebensmittelretter bis zur Luxusboutique, kulturelle Vielfalt vom Hinterhoftheater bis zur großen Showbühne – all das ist Berlin. Aber Mittelstand ist noch viel mehr: Der Handwerker im Kiez, das Busunternehmen im Familienbesitz, der Industriebetrieb im Gewerbehof. Berlins Wirtschaft wäre arm ohne diese Beispiele.

Diese Unternehmen sind in akuter Gefahr. Die Corona-Krise droht, gewaltige Wunden in die Berliner Wirtschaft zu schlagen, deren Narben wir noch lange sehen werden. Noch nie in der Berliner Nachkriegsgeschichte hatte eine wirtschaftliche Krise das Potenzial zu solchen Verwerfungen:

  • 95 Prozent aller Berliner Unternehmen leiden unter der Krise. Ein Drittel aller Unternehmen fürchtet die Insolvenz.
  • In den besonders betroffenen Branchen wie dem Einzelhandel, der Reise- und Tourismuswirtschaft oder dem Gastgewerbe ist die Lage dramatisch. Allein im Gastgewerbe müssen drei Viertel der Unternehmen Personal abbauen.
  • Aber die Corona-Krise hat die gesamte Wirtschaft erfasst. Industrie, Verkehr und Baugewerbe rechnen ebenfalls mit heftigen Umsatzeinbußen. Auch in der Industrie gehen 40 Prozent der Unternehmen von Personalabbau aus.

Bundesweit rechnen die führenden Wirtschaftsforscher bereits in den Basisszenarien mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von rund 5 Prozent. Diese Zahl wird für Berlin nicht zu halten sein. Was uns in der Wirtschafts- und Finanzkrise zum Vorteil gereichte, nämlich ein geringerer Anteil des Industrie- und Finanzsektors, kehrt sich nun gegen uns: Weil die besonders betroffenen Branchen einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zur Berliner Bruttowertschöpfung leisten, werden die Einschläge heftiger sein als im Bund. Nach ersten Berechnungen der IHK Berlin könnte die Berliner Wirtschaft 2020 bereits in einem Szenario mit relativ kurzem Lockdown um mehr als 10 Prozent schrumpfen. Das wäre ein gewaltiger Rückschlag für den bisher so erfolgreichen wirtschaftlichen Aufholprozess der Hauptstadt.

Die Nachfrage nach den Hilfsprogrammen von Bund und Land ist gewaltig

Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise das größte Hilfsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik aufgelegt. Es wurden haushaltswirksame Maßnahmen mit einem Volumen von insgesamt 353,3 Milliarden Euro und Garantien mit insgesamt 819,7 Milliarden Euro aufgelegt.

  • Für kleine Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler hat der Bund 50 Milliarden Euro mobilisiert. Diese Soforthilfe des Bundes sieht nicht rückzahlbare Zuschüsse von 9.000 Euro für Selbstständige und Unternehmen mit bis zu 5 Beschäftigten sowie bis zu 15.000 Euro für Selbstständige und Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten vor.
  • Über die KfW wurde ein Milliardenprogramm gestartet, um Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler mit Liquidität zu versorgen. Diese Kreditprogramme werden in unbegrenztem Volumen bereitgestellt.
  • Seit dem 15. April steht mittelständischen Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten ein KfW-Schnellkredit zur Verfügung, der zu 100 Prozent durch eine Garantie des Bundes abgesichert ist. Weil bei diesem Programm die Risikoprüfung durch die Hausbank entfällt, werden deutlich mehr Unternehmen an überlebenswichtige Liquidität kommen.
  • Für große Unternehmen wird ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds gegründet, der 100 Milliarden Euro für Kapitalmaßnahmen und 400 Milliarden Euro für Bürgschaften enthält. Für Start-ups soll ein spezielles Hilfsprogramm im Umfang von 2 Milliarden Euro aufgelegt werden.

Hinzu kommen weitere Maßnahmen, die den Unternehmen unmittelbar helfen, u. a.:

  • Flexibilisierung des Kurzarbeitergelds
  • Steuerliche Liquiditätshilfen für Unternehmen
  • Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen
  • Anpassungen im Miet- und Insolvenzrecht

Auch das Land Berlin hat eigene Soforthilfe-Pakete aufgelegt, um den Berliner Unternehmen zu helfen:

  • Im Rahmen der Rettungsbeihilfe „Corona“ – Soforthilfe I konnten Berliner KMU mit einer Laufzeit von 2 Jahren Darlehen von bis zu 500.000 Euro, in begründeten Ausnahmefällen bis zu 2,5 Mio. Euro erhalten. Insgesamt stehen in diesem Programm 300 Mio. Euro zur Verfügung. Die Nachfrage nach den Darlehen überstieg bereits Ende März das gesamte Programmvolumen, so dass die IBB bis auf Weiteres die Annahme weiterer Anträge ausgesetzt hat.
  • Im Rahmen der Soforthilfe II hat Berlin ein eigenes Zuschussprogramm für kleine Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten, Freiberufler und Selbstständige aufgelegt. In Kombination mit den Bundeszuschüssen hat die IBB rund 151.000 Anträge genehmigt und mehr als 1,336 Milliarden Euro ausgezahlt. Das Volumen der Soforthilfe II ist damit ebenfalls ausgeschöpft. Berliner Unternehmen können seit Montag 6. April, nur noch Zuschüsse aus dem Bundesprogramm erhalten.
  • Mit der Soforthilfe V können Unternehmen mit mehr als 10 und bis zu 100 Mitarbeitern Tilgungszuschüsse im Hinblick auf KfW-Kredite von bis zu 20 Prozent unter bestimmten Umständen und einer zugrunde liegenden Prüfung beantragen. Bleibt ihnen dagegen ein Kredit aus Bundesmitteln verwehrt oder ist das Darlehen nicht ausreichend, können die Betriebe Sofortzuschüsse von durchschnittlich bis zu 25.000 Euro beantragen. Das Gesamtvolumen dieses Hilfspakets beträgt 75 Mio. Euro. Außerdem stehen 30 Mio. Euro Soforthilfe-Zuschüsse ausschließlich Kultureinrichtungen zur Verfügung.

Die Förderlücke muss wirksam geschlossen werden!

Die hier unterzeichnenden Institutionen stellen eins vorweg: Wir wollen keine Staatshilfe für Unternehmen, die schlecht gewirtschaftet haben. Aber Berliner Unternehmen brauchen einen fairen Ausgleich dafür, dass sie aufgrund staatlicher Anordnungen nicht mehr wirtschaften dürfen oder nicht mehr wirtschaften können.

Mit dem neuen Soforthilfe-Paket für Unternehmen von elf bis 100 Beschäftigten, das der Senat am 9. April angekündigt hat, stehen weiterhin Kredite im Vordergrund. Zuschüsse werden den Unternehmen dagegen erst gewährt, wenn eine Ablehnung des Kreditantrags auf Bundesmittel vorliegt. Dabei helfen Kredite den Unternehmen aktuell nur bedingt: Denn gerade die besonders betroffenen Branchen wie der Einzelhandel, die Kreativwirtschaft oder der Tourismussektor verfügen aufgrund ihres Geschäftsmodells über eine vergleichsweise niedrige Eigenkapitalausstattung. Angesichts des erzwungenen Stillstands und der unsicheren Perspektive, wann die Krise endet, fehlt ihnen die Kapitaldienstfähigkeit.

Daneben werden Kredite normalerweise zur Finanzierung von beispielsweise Investitionen aufgenommen. Sie stehen damit einer zukünftigen Wertsteigerung gegenüber, wodurch die eingesetzten Finanzmittel refinanziert werden. In der gegenwärtigen Situation dienen die Notfallkredite jedoch ausschließlich als Hilfe bei akuten Liquiditätsengpässen und damit zur Finanzierung von laufenden Betriebskosten. Die Rückzahlung kann somit nicht gesichert werden, wodurch sich viele Unternehmen scheuen, die Kredite in Anspruch zu nehmen.

Statt also für Ausgleich zu sorgen, werden Berliner Unternehmen auch gegenüber Wettbewerbern aus anderen Bundesländern in mehrfacher Hinsicht benachteiligt:

  • Anträge auf Darlehen aus dem Rettungspaket Soforthilfe I können aktuell nicht mehr gestellt werden, weil das Programmvolumen ausgeschöpft ist.
  • Die Bundeszuschüsse gelten nur für Unternehmen mit bis zu 10 Beschäftigten.

Die Förderlücke ist auch eine eklatante Gerechtigkeitslücke!

  • Etwa 483.000 Arbeitnehmer sind in Betrieben mit einer Größenklasse von 10 bis 100 Mitarbeitern beschäftigt. Das sind laut der Bundesagentur für Arbeit 32 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berlin. Diese Betriebe werden bei den Zuschüssen nicht berücksichtigt.
  • 85 Prozent der Sv-Beschäftigten Berlinerinnen und Berliner sind in Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten tätig. Wer kann sich vorstellen, dass gerade einmal 100 Unternehmen in Berlin mehr als 500 Beschäftigte haben?
  • Rund 80 Prozent der Umsätze in Berlin werden von Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten erwirtschaftet.
  • Besonders schwer trifft die Förderlücke die Beschäftigten in der Industrie: 92 Prozent aller Industriejobs sind in Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitern verzeichnet.

Damit fehlt diesen Unternehmen und ihren Beschäftigten eine entscheidende Nothilfe, die in vielen anderen Teilen Deutschlands selbstverständlich ist:

  • Insgesamt haben vierzehn Bundesländer Zuschussprogramme für Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten aufgelegt, die nicht an Voraussetzungen wie der Kreditvergabe durch den Bund gekoppelt sind. Berlins Zuschuss-Programm richtet sich dagegen ausschließlich an Unternehmen, die nicht die Bundeskredite in Anspruch nehmen können.
  • Berlins Nachbarland Brandenburg zahlt Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten einen Zuschuss von bis zu 30.000 Euro, Unternehmen mit 50 bis 100 Beschäftigten sogar einen Zuschuss von 60.000 Euro. Hamburg zahlt Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten 25.000 Euro, Unternehmen mit 50 bis 250 Beschäftigten 30.000 Euro.

Diese Förderlücke muss Berlin unverzüglich und unbürokratisch schließen. Haushaltspolitische Vorsicht ist richtig, wirkt an dieser Stelle aber nicht schlüssig. Werden die Unternehmen jetzt nicht gestützt und Insolvenzen verhindert, rollen zwangsläufig hohe Sozialkosten und spätere Förderprogramme auf das Land Berlin zu, die über Jahre hinweg einen konsolidierten Haushalt zunichtemachen.

Das Unternehmensregister zählt 17.500 Unternehmen in Berlin mit mehr als 10 Beschäftigten. Nur ein Teil dieser Unternehmen wird Zuschüsse beantragen. Bei einem im Vergleich der Bundesländer erwartbaren maximalen Zuschuss von gestaffelt 30.000 bis 60.000 Euro würde voraussichtlich ein Programmvolumen von 400 bis 500 Millionen Euro benötigt. Zum Vergleich: Brandenburg hat seinen Rettungsschirm auf ein Volumen von 2 Milliarden Euro ausgedehnt.

Unsere Forderung an den Berliner Senat:

Berlin braucht ein erweitertes Zuschussprogramm für Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten, das

  • mindestens Unternehmen mit 10 bis 100 Beschäftigten abdeckt,
  • mit einem ausreichenden Programmvolumen ausgestattet ist,
  • den Unternehmen unabhängig von Bundeskrediten unbürokratisch zufließt,
  • nach der Mitarbeiterzahl pro Unternehmen gestaffelt ist (bis 50 Beschäftigte 30.000 Euro und bis 100 Beschäftigte 60.000 Euro).

Berlin muss sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass Unternehmen, welche Corona-bedingte Kredite in Anspruch nehmen, Zinsen und Tilgungen dieser Kredite künftig in noch auszugestaltender Form steuerlich geltend machen können.


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