Bauen in Zeiten des Klimawandels

Gastbeitrag von Dr. Markus Eltges, Leiter des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung

30 Jahre Bauindustrie in Ostdeutschland bedeuten 30 Jahre erfolgreiche Transformation städtebaulicher Strukturen, bedeuten die Modernisierung und den Ausbau der Infrastrukturlandschaft. Dieser Transformationsprozess hat mehr als deutlich gezeigt, dass Bauen Gesellschaftspolitik ist. Bauen hat nicht nur eine wichtige Funktion im Kontext der Sicherung der Daseinsvorsorge oder der Sicherung wirtschaftlicher Tätigkeiten, Bauen bietet vielen Menschen auch einen Arbeitsplatz. Impulse für die Bauwirtschaft waren und sind immer auch Impulse für die Volkswirtschaft.

Denn der Baubereich ist ein Schlüsselsektor der deutschen Wirtschaft und hat eine große arbeits- und konjunkturpolitische Bedeutung. Rund 2,2 Millionen Menschen arbeiten in etwa 330.000 Betrieben des Baugewerbes, davon über 21 Prozent in den neuen Bundesländern (inkl. Berlin). Das DIW Berlin berechnet jährlich für das BBSR das Bauvolumen. Im Jahr 2019 erreichte es über 427 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Rund 20 Prozent des Bauvolumens werden in Ostdeutschland erwirtschaftet. Damit hat auch hier der Baubereich eine überproportionale Bedeutung im Vergleich zur Gesamtwirtschaft. So eindeutig die Relevanz der Bauwirtschaft für die Volkswirtschaft ist, so eindeutig ist diese Relevanz auch für den Klimaschutz, die Anpassung an die Folgen des Klimawandels und die Energiewende. Aus dieser Bedeutung heraus folgt die gesellschaftliche Verantwortung des Bauens, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Das Bauwesen ist ein ressourcenintensiver Sektor. Es verbraucht rund die Hälfte der in Deutschland jährlich beanspruchten Rohstoffe. Ein Drittel der Endenergie in Deutschland wird für den Gebäudebereich verbraucht. Die größten Anteile des Gebäudeenergiebedarfs machen Heizung und Warmwasser aus. Bisher wird der Bedarf weit überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt. Die eingesetzte graue Energie – etwa für Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung – ist darin noch nicht eingerechnet.

Der Bausektor in Deutschland muss sich zudem mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen: Höhere Temperaturen, längere und intensivere Trockenperioden, feuchtere Winter und häufigere Wetterextreme wirken sich auf Wirtschaft und Gesellschaft aus. Das erfordert ein Umdenken – hin zu mehr Klimaschutz und Energieeffizienz. Auch müssen die Gebäude widerstandsfähiger gegenüber Wetterextremen wie Hitze, Starkregen, Hagel oder Sturm werden. Sowohl der Neubau als auch die Entwicklung des Bestandes benötigen ganzheitliche Strategien zum zukunftsfähigen und klimaangepassten Bauen und Sanieren.

Vor diesem Hintergrund kann der Bausektor sowohl einen Beitrag zum Bauen im Klimawandel wie auch insgesamt zum nachhaltigen und ressourcenschonenden Bauen und Sanieren leisten. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien, nachhaltiger Bau- und Rohstoffe, das Planen mit geringem Materialeinsatz und recycelten Bauprodukten können diese Potenziale im Lebenszyklus eines Gebäudes erschlossen werden. Dabei ist insbesondere die Digitalisierung für das Planen, Bauen, Nutzen und Wiederverwerten im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes ein wichtiges Instrument.

Langer Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand

Nach Beschlüssen der Bundesregierung soll der Gebäudebestand in Deutschland von knapp 19 Millionen Wohn- und etwa 3 Millionen Nichtwohngebäuden bis 2050 klimaneutral sein. Die Wohngebäude haben am Gebäudeendenergieverbrauch einen Anteil von rund 64 Prozent, Nichtwohngebäude von 36 Prozent.

Eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einem klimaneutralen Gebäudebestand spielt die energetische Sanierung. Das BBSR hat zum dritten Mal eine umfangreiche empirische Erhebung zu den Investitionen im Gebäudebereich durchgeführt. Das Vorhaben orientierte sich methodisch und inhaltlich an den beiden Vorgängerstudien aus den Jahren 2011 und 2015. Neben Privathaushalten wurden Wohnungsunternehmen und Planer befragt. So entsteht ein detailreiches und konsistentes Bild über den Umfang und die Struktur der Bestandsinvestitionen. Da die Erhebungen vor der Corona-Pandemie erfolgten, lassen die vorliegenden Studienergebnisse mögliche Auswirkungen der Pandemie auf die Bautätigkeit außen vor.

Die Ergebnisse zeigen, dass die energetische Sanierung einen erheblichen Teil der Bestandsleistungen ausmacht. Im Wohnungsbau waren zuletzt 26 Prozent, im Nichtwohnungsbau 29 Prozent aller Maßnahmen energetisch bedingt. Dies bedeutet im Vergleich zu 2014 zwar einen nominellen Anstieg. Der Anteil dieser energetischen Sanierungsleistungen an den gesamten Bestandsmaßnahmen sank aber deutlich. 2014 lag die Quote im Wohnungsbau noch bei 36 Prozent, im Nichtwohnungsbau bei knapp 31 Prozent. Besonders starke Rückgänge gab es bei Maßnahmen an der Gebäudehülle (Wärmedämmung). Diese Entwicklungen unterstreichen, dass deutlich erhöhte Anstrengungen zur Erreichung der klimapolitischen Ziele im Gebäudesektor erforderlich sind.

Eine flächendeckende energetische Ertüchtigung des Gebäudebestandes sollte dabei nicht die Wohnkostenbelastung weiter erhöhen. Das wäre mit warmmietenneutralen energetischen Sanierungen zu schaffen. Diese jedoch erfordern entsprechende Anreize für Gebäudeeigentümer. Eine im Juni 2020 veröffentlichte Studie der Wohnungswirtschaft sieht hier eine große Förderlücke. Sie beziffert den derzeitigen Fehlbetrag unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel der staatlichen Förderbank KfW auf 5,3 bis 13,2 Milliarden Euro jährlich. Die Berechnungen der Studie beruhen auf einer Sanierungsrate von zwei Prozent auf das KfW 55-Effizienzhausniveau. Dies bewirke eine Absenkung der CO₂-Emissionen von 13,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Allein im Mietwohnbereich würde das Einsparniveau bereits ausreichen, die Zwischenziele bis 2030 zu erreichen.

Der Bund geht als Vorbild voran, was den energetisch zu erreichenden Standard bei der Sanierung betrifft. Nach einem Kabinettsbeschluss von 2019 müssen Sanierungen von Bestandsbauten des Bundes mindestens den energetischen Standard eines Effizienzgebäudes EG 55 erfüllen.

Null- und Plusenergiehäuser leisten Beitrag

Mit innovativen Gebäudestandards wie Null- oder Plusenergiehäusern kann der Bausektor schon heute einen Beitrag für eine notwendige CO₂-Minderung im Gebäudebereich leisten, oft auch in Verbindung mit ganzheitlichen Betrachtungen und weitergehenden Nachhaltigkeitsaspekten. So wird mit dem „Effizienzhaus Plus“ in der Jahresbilanz lokal mehr Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen, als das Gebäude für seinen Betrieb und seine Bewohner als Nutzerstrom benötigt. Somit können bestehende Defizite anderer weniger effizienter oder energetisch nicht ausreichend zu ertüchtigender Gebäude beispielsweise auf Quartiers- oder Ensembleebene ausgeglichen werden. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und das BBSR fördern die Modellvorhaben Effizienzhaus Plus. Bisher umfasst das Netzwerk 50 Projekte in den Bereichen Wohngebäude sowie Bildungsbauten.

Für Nichtwohngebäude hat das BBSR bereits in 2015 Erkenntnisse aus der Evaluation von Modellvorhaben kommunaler und sozialer Einrichtungen für den Niedrigstenergiegebäudestandard gewonnen.

Leitfaden Nachhaltiges Bauen

Der Gedanke der ganzheitlichen Betrachtung erhält bei Gebäuden des Bundes eine besondere Bedeutung durch den Leitfaden Nachhaltiges Bauen. Gerade die in den neuen Bundesländern bislang abgeschlossenen Projekte belegen, dass sich die hohen Anforderungen aus dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen wirtschaftlich realisieren lassen. So wurde das Bürogebäude des Umweltbundesamtes in Berlin-Marienfelde als Nullenergiehaus mit dem Ziel der aktiven Ressourcenschonung geplant.

Mit dem zweigeschossigen Gebäude in Holzbauweise wurde aus Gründen der Energieeffizienz eine möglichst kompakte Bauweise gewählt. Das lang gestreckte Vordach bietet eine Aufenthaltszone vor dem Gebäude und dient der Verschattung und dem Wärmeschutz der Konferenzräume im ersten Stockwerk. Durch die Dachbegrünung wird neben der ökologischen Ausgleichsfunktion ein Synergieeffekt mit der dort installierten Photovoltaikanlage erreicht. Im Ergebnis eines umfangreichen Monitorings bestätigte sich das Nullenergieniveau des Gebäudes in der Jahresbilanz. Das Gebäude wies einen deutlichen Überschuss an Elektroenergie aus, die der Liegenschaft insgesamt zugutekommt.

Ausblick

Mit den nationalen Vorgaben zum Klimaschutz im Gebäudebereich ist die Trendwende beim fossilen Energieverbrauch im Gebäudebetrieb eingeleitet, aber zur Erreichung der Klimaziele muss die Sanierungsquote erhöht werden. Der Einsatz von energieeffizienter Gebäudetechnik ist dabei ein wichtiger Hebel.

Die Auswirkungen des Klimawandels und der enorme Energie- und Ressourcenverbrauch, der zur Herstellung oder zur Sanierung der Gebäude und ihrer Bauteile erforderlich wird, müssen verstärkt im Sinne des nachhaltigen Bauens mitbetrachtet werden. Die Entsorgung und die Recycelbarkeit von Gebäudeteilen nach Nutzungsende müssen zudem in eine ganzheitliche Planung im Lebenszyklus eingepasst werden. Der Gebäudebestand ist ein menschengemachtes Rohstofflager. Das Wiederverwerten von verwendeten Materialien sollten Planer und Bauherren von Anfang an mitdenken. Die Digitalisierung bietet hier Chancen den eigenen Gebäudebestand mit relevanten Gebäude-, Bauteil- und Materialinformationen als Planungsgrundlage für spätere Sanierungszyklen in der Nutzungsphase zu dokumentieren.

Ein Forschungsvorhaben des BBSR soll nun vertiefte Erkenntnisse aus der Praxis zum bezahlbaren und zukunftsfähigen Bauen bringen: An bis zu 60 Modellvorhaben sollen Determinanten für die Vereinbarkeit bezahlbarer Mieten und nachhaltiger Qualitäten durch die Begrenzung von Bau- und Lebenszykluskosten untersucht werden. Ein innovativer Bausektor wird indes immer der Schlüssel zum Erfolg sein.

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