Zum Einfluss von Konjunkturprogrammen auf die Bauwirtschaft

Gastbeitrag von Prof. Dr. Joachim Ragnitz, Stellvertretender Leiter ifo Institut für Wirtschaftsforschung Niederlassung Dresden

Die ostdeutsche Bauwirtschaft hat in den vergangenen 30 Jahren Höhen und Tiefen erlebt. Nach 1990 kam es im Baugewerbe zunächst zu einem beispiellosen Aufschwung: Die Produktion nahm von 1991 bis 1995 um 86 Prozent zu, parallel dazu auch die Zahl der Erwerbstätigen (+49 Prozent). Grund hierfür war der enorme Nachholbedarf beim Ausbau der Infrastruktur sowie beim Neubau und der Renovierung von Wohn- und Geschäftsbauten nach der deutschen Vereinigung, der zudem durch massive Investitionsanreize für die Privaten unterstützt wurde. Dieser Nachfrageboom hat zum Aufbau von hohen Kapazitäten beigetragen; in der Spitze waren mehr als 17,2 Prozent aller Erwerbstätigen in Ostdeutschland im Bausektor tätig. Mit dem Ende des Einigungsbooms brachen dann aber auch für die Bauwirtschaft schwierige Zeiten an:

In den Folgejahren kam es zu einem ebenso beispiellosen Abschwung; in nur 10 Jahren halbierten sich Produktion und Beschäftigung wieder, und auch der Beschäftigungsanteil des Baugewerbes ging auf nur noch rund 8 Prozent zurück. Erst seit dem Jahr 2010 ist wieder ein leichter Aufwärtstrend bei der Produktion (nicht aber bei der Zahl der Erwerbstätigen) zu verzeichnen; der Anteil des Baugewerbes an der gesamten Beschäftigung ging im Zuge dessen weiter zurück, liegt aber auch aktuell noch immer höher als im Westen Deutschlands.

Positiv ist indes, dass nahezu über den gesamten Zeitraum hinweg starke Produktivitätssteigerungen zu verzeichnen waren: Im Jahr 2019 lag die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen um rund 250 Prozent über dem Niveau des Jahres 1991. Der Produktivitätsrückstand zum Durchschnitt der westdeutschen Länder konnte allerdings immer noch nicht aufgeholt werden und beträgt weiterhin rund 20 Prozentpunkte. Offenbar war die langjährige Strukturkrise in der Bauwirtschaft aber auch eine Bereinigungskrise, die dazu geführt hat, dass weniger leistungsfähige Unternehmen aus dem Markt ausscheiden mussten. Das ist ein wesentliches Merkmal marktwirtschaftlicher Ordnungen, so bitter das für den Einzelnen auch gewesen sein mag.

Stärker als die meisten anderen Wirtschaftszweige ist das Baugewerbe von den durch die Wirtschaftspolitik gesetzten Rahmenbedingungen abhängig. Neben allgemeinen Regulierungen (wie z. B. Bauvorschriften), steuerlichen Aspekten (wie z. B. Abschreibungsregeln) und politisch motivierten Vorhaben (wie z. B. die Ausweitung oder Einschränkungen des Sozialen Wohnungsbaus) spielen insbesondere auch konjunkturpolitisch motivierte Anreize dabei eine Rolle. In einer Phase konjunktureller Schwäche soll der Staat entsprechend dem keynesianischen Dogma der Nachfragesteuerung öffentliche Investitionen vorziehen und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stützen. Häufig richten sich entsprechende Maßnahmen dann auf die Baunachfrage, denn zum einen lassen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes konjunkturbedingte Ausgabenprogramme nur für bereits in der Finanzplanung enthaltende Projekte zu, und zum anderen sind diese bereits durchgeplanten Projekte auch vergleichsweise schnell umzusetzen. So lassen sich zum Beispiel für spätere Zeitpunkte geplante Infrastrukturinvestitionen der öffentlichen Hand vorziehen; denkbar ist es darüber hinaus auch, durch Vergabe von zinsverbilligten Krediten an öffentliche und private Bauherren die Baunachfrage indirekt zu stimulieren. Umgekehrt sollte in einer Phase konjunktureller Überhitzung der Staat allerdings auch nachfragedämpfende Maßnahmen einleiten, also Investitions-vorhaben verzögern oder seine Kreditvergabe reduzieren. In der Praxis funktioniert das alles häufig aber nicht so reibungslos wie in der Theorie: Wegen Verzögerungen in der politischen Entscheidungsfindung, mangelnder Planungskapazitäten und technischer Umsetzungsschwierigkeiten kommen expansive Maßnahmen häufig zu spät und wirken deswegen oftmals eher pro- denn antizyklisch; dämpfende Maßnahmen wiederum werden häufig verzögert, weil gerade bei günstiger Steuereinnahmeentwicklung immer auch Projekte gefunden werden, die den jeweiligen politischen Akteuren umsetzungswürdig erscheinen oder weil aus wahltaktischen Gründen eine Einschränkung staatlicher Ausgaben nicht opportun scheint.

Konjunkturpolitik vollzieht sich allerdings nicht nur über die Fiskalpolitik, sondern auch über die Geldpolitik: In einer konjunkturellen Schwächephase wird die Zentralbank im Regelfall die Zinsen senken und damit die zinsreagible Nachfrage anregen; auch dies ist – nicht zuletzt wegen der langen Bindungsfristen – häufig die (kreditfinanzierte) Baunachfrage. Umgekehrt steigen die Notenbankzinsen und damit die Kreditzinsen in einer konjunkturellen Hochphase, was sich dann dämpfend auf die Kreditnachfrage und die Bautätigkeit auswirkt. Auch wenn der Zusammenhang zwischen heimischer Konjunktur und Geldpolitik wegen des europaweiten Mandats der EZB inzwischen gelockert ist, besteht der Zusammenhang zwischen Zinsniveau und Bautätigkeit sicherlich auch weiterhin. Allerdings dürfte die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB bei den Kreditnehmern zu einer gewissen „Gewöhnung“ beigetragen haben, so dass die expansiven Impulse einer lockeren Geldpolitik aktuell wohl weniger deutlich spürbar sind. Kommt es irgendwann wieder zu steigenden Zinsen, würde gerade dies dann auch die Baunachfrage vermutlich überproportional einbrechen lassen, weil in der breiten Öffentlichkeit selbst eine Rückkehr zu einem „Normalzins“ wohl als übermäßige Verschlechterung der Finanzierungskonditionen eingestuft würde. Die Erfahrungen der weltweiten Finanzkrise 2008/2009, die letzten Endes durch Zinsanhebungen der amerikanischen Notenbank ausgelöst wurden, mahnen hier zur einer gewissen Vorsicht.

Schließlich steht das Bauen auch im Mittelpunkt von eher wachstumspolitisch motivierten und deswegen zumeist mittelfristig ausgerichteten Maßnahmen zur Verbesserung der Standortbedingungen in einer Region oder einem Land: Durch den Ausbau von Infrastrukturen soll z. B. die Attraktivität eines Standorts für private Investitionen gesteigert werden, was nachgelagert dann auch den Wirtschaftsbau anregt; durch Stärkung des (privaten und gewerblichen) Wohnungsbaus soll der Zuzug von mobilen Bevölkerungsschichten gesteigert werden, und durch Förderung von Ansiedlungen und Unternehmenserweiterungen (was regelmäßig Bauinvestitionen voraussetzt) sollen direkt regionale Disparitäten bei Einkommenschancen und Beschäftigung abgebaut werden. Insbesondere die anfangs angesprochenen massiven Förderanreize in Ostdeutschland in den frühen 1990er Jahren lassen sich hierdurch begründen. Politisches Ziel ist es zudem, die öffentlichen (Infrastruktur) Investitionen wegen des (vermeintlichen oder tatsächlichen) „Investitionsstaus“ der letzten Jahre auszuweiten, was [sofern man von dadurch möglicherweise induzierten Zinssteigerungen abstrahiert] ebenfalls die Bauwirtschaft fördern dürfte. Seit einigen Jahren sind es zudem die unterschiedlichen klimaschutzpolitischen Maßnahmen, die indirekt auch das Baugewerbe begünstigen, so mit Blick auf den klimagerechten Umbau von Gebäuden.

Die Entwicklung der Bauproduktion in Deutschland (und auch in Ostdeutschland) spiegelt die Effekte derartiger staatlicher Interventionen deutlich wider. So wurde die Bautätigkeit insbesondere dann ausgeweitet, wenn der Staat entsprechende (konjunktur- oder wachstumspolitische) Förderprogramme aufgelegt hat: Zu Beginn der 1990er Jahre (mit Schwerpunkt in Ostdeutschland), nach der schweren Wirtschaftskrise 2008/2009, und aktuell wieder im Zuge der pandemiebedingten Rezession des Jahres 2020. Mit zunehmender konjunktureller Stabilisierung wurden die entsprechenden Programme hingegen – wenngleich oftmals zeitverzögert – wieder zurückgefahren, was dann eine entsprechende Einschränkung der Bautätigkeit mit sich brachte.

Da die Politik mit derartigen expansiven bzw. kontraktiven Maßnahmen eine Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bezweckt und nicht nur konjunkturbedingte Schwankungen in der Bauwirtschaft selber ausgleichen will, sind die hierdurch ausgelösten positiven bzw. negativen Impulse im Baugewerbe als dem primär betroffenen Sektor vergleichsweise groß. Hinzu kommt, dass das Vorziehen von Projekten in einer konjunkturellen Schwächephase impliziert, dass diese Mehrnachfrage später dann ausfällt, was zumindest bei unregelmäßigen Konjunkturzyklen die Nachfrageschwankungen in der Bauwirtschaft erhöht. Dies belastet die Planungssicherheit der Unternehmen und erschwert eine angemessene Kapazitätsplanung. Insoweit ist es wohl auch aus Sicht der Baufirmen ein zweischneidiges Schwert, wenn die vom Staat gewünschten gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungswirkungen vor allem durch eine Nachfrageanpassung im Bausektor erreicht werden sollen. Insbesondere könnte dies zur Folge haben, dass Ressourcen in der Bauwirtschaft gehalten werden, die aus gesamtwirtschaftlichen Effizienzgründen möglicherweise anderswo besser eingesetzt werden würden. Dies spricht für eine stärkere Diversifikation des konjunkturpolitischen Instrumentariums.

Alles in allem wären die Bauunternehmen deshalb gut beraten, auf einen (temporären) Bauboom nicht mit Kapazitätserweiterungen zu reagieren, sondern eher auf Instrumente befristeter Beschäftigung und Leiharbeit zurückzugreifen – auch wenn dies dem aktuellen politischen Zeitgeist widersprechen mag. Zudem erscheint es sinnvoll, zeitweilige Mehrerträge zum Aufbau von finanziellen Reserven zu verwenden, um Phasen einer schwächeren Nachfrage besser überstehen zu können. Auch Diversifikationsstrategien und verstärkte Kooperation mit anderen Unternehmen sind Möglichkeiten, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und künftige Nachfrageschwankungen besser abfedern zu können. Wer dies schafft, dürfte auch künftig in einem volatilen Sektor wie der Bauwirtschaft gut bestehen können. Gebaut werden muss auch in Zukunft – und deswegen ist davon auszugehen, dass die (ostdeutsche) Bauwirtschaft auch die kommenden 30 Jahre gut überstehen wird.

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