Zwischen Rückbau und Neubau – Stadtbilder im Wandel

Gastbeitrag von Dr. Volker Benedix, Ehrenpräsident der Architektenkammer Sachsen

Für das 19. Jhd. waren die technischen Entwicklungen der Wirksamkeit der Kanonen, der Dampfmaschinenkraft, der Eisenbahn und des Automobiles prägend, aber auch zerstörend für die Stadtbilder. Die seit Jahrhunderten die Städte schützenden Fortifikationsbauwerke z. B. eines Vauban mit Türmen, Mauern und Stadttoren, wurden obsolet. Die Städte wuchsen in das Umland. Damit waren umfangreiche Abrisse vorstadtprägender kleinteiliger Stadtstrukturen verbunden.

Mit der Entwicklung der Eisenbahn als fortschrittliches Verkehrsmittel zwängten sich sperrige Gleiskörper in den organischen Stadtgrundriss. Sie sind dominant, heute noch im Luftbild der Städte erkennbar. Sie bestimmen mit ihren Brücken, Tunnelanlagen und Empfangsgebäuden unsere Stadträume.

Ebenso waren durch die Entwicklung des Autoverkehrs umfangreiche Abrisse und damit stadtstrukturelle Veränderungen verbunden. Keine andere technische Entwicklung hat so viele Änderungen in den Stadtbildern bedingt. Bestimmt durch die Vorstellung der 1950er und 1960er Jahre von einer autogerechten Stadt sind oft irrelevante Verkehrsbauwerke entstanden, deren Rückbau ist heute im Regelfall problematisch und oft unmöglich.

Aristokratische Machtvorstellungen hatten im 17./18. und noch im 19. Jhd. stadträumlich achsbezogene Schloss-, Platz- und Parkanlagen mit dem Rückbau historisch gewachsener Stadtstrukturen zur Folge. Jedoch wären für uns heute prägende Stadträume und Gebäude wie z. B. das Berliner Schloss (gegenwärtig im Wiederaufbau) oder der Theaterplatz in Dresden nicht erlebnisreich gegenwärtig.

Das ideologische Gedankengut des Nationalsozialismus sowie auch einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung machten im 20. Jhd. einen dominanten Machtanspruch in den Stadtbildern sichtbar. Eine in den 1930er Jahren für Berlin geplante städtebauliche Nord-Süd-Achse sollte das Machtzentrum einer Reichshauptstadt zeigen. Umfangreiche innerstädtische Stadträume hätten dieser Absicht folgend ihre Identität durch Abriss verloren.

Ende des Zweiten Weltkrieges verloren viele europäische Städte ihr historisch geprägtes Bild. Der Wiederaufbau der in Folge entstandenen weiten innerstädtischen Flächen orientierte sich an der Charta von Athen, mit einer angestrebten Neuordnung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholung. Die bis dahin geschlossenen Quartierstrukturen prägten die Stadtbilder nicht mehr.

Wir erleben heute offene Stadträume – im Regelfall im Laufe der Jahre mit viel Großgrün durchwachsen und damit eine temporäre Geschlossenheit zeigend. Während man in den westlichen Teilen Deutschlands sich mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg an den vorhandenen Stadtstrukturen – wenn auch nicht immer maßstäblich – orientierte, erfolgte im Osten Deutschlands ein dem Gedankengut einer sozialistischen Gesellschaft folgender Wiederaufbau.

Zentrale Aufmarschachsen und große zentrale Demonstrationsplätze sollten die errungene Macht der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen. Umfangreiche Abrisse unter Verlust stadtbildprägender, identitätsstiftender Gebäude waren die Folge. Für die Stadt Dresden fand in den 1950er und 1960er Jahren zur Realisierung dieser ideologisch geprägten Ziele eine regelrechte zweite Zerstörung statt. Viele wiederaufbaufähige Baudenkmale des 17./18. und 19. Jhd. gingen in ihrer Originalität verloren.

Die mit der Rekonstruktion der Frauenkirche nach historischem Vorbild wiederentstandene Neumarktbebauung ist trotz mancher Architekturkritik an der umfänglichen Nachbildung historischer Gebäude gelungen und damit ein identitätsprägender und Erinnerung stiftender Stadtraum entstanden.

Mit der politischen Wende im Osten Deutschlands änderten sich erneut gewohnte Stadtbilder. Eine kapitalistisch orientierte Produktion und deren Marktführung führten zu innerstädtischen Eingriffen und erheblichen Stadterweiterungen in das Umland. Mit diesen Suburbias entstanden Gewerbegebiete mit nur selten ästhetischen Ansprüchen – Amerika prägte die Umgebung der Städte nun auch im Osten. In den Innenstädten wurden Baulücken durch neue Gebäude mit neuem ästhetischen Anspruch geschlossen. Häufig erfolgte auch hier der Rückbau von Bauwerken aus der Zeit des sozialistischen Aufbaus. So sind, um bei der Stadt Dresden als Beispiel zu bleiben, erhebliche Verluste durch den Abriss von Bauwerken der Spätmoderne zu verzeichnen. Hierzu gehört die Bebauung der Webergasse, ein für die damalige unter baupolitisch systembedingten strengen Vorgaben, modern geprägter Stadtraum. Dem schon gedachten und fiktiv dargestellten Umbau des Dresdner Kulturpalastes (1966 -1969) ist dieses Schicksal erspart geblieben.

In der Stadt Leipzig erfolgte nach dem schändlichen Abriss der Pauliner Kirche als Universitätskirche 1968 der Bau eines dem Platzraum eher schändendes Universitätsgebäudes ohne städtebaulichen und ästhetischen Qualitätsanspruch. Die gegenwärtige Neubebauung mit einer Erinnerung an die Universitätsgebäude und Kirche vor der Zerstörung wurde viel diskutiert, ist aber eine gelungene, dem Platzraum in Verbindung mit dem Gewandhaus aufwertende Bebauung.

Städte mit ihren landschaftsprägenden Bildern befinden sich immer in einem Prozess der Wandlung. Politische und wirtschaftliche Veränderungen bedingen durch neuen ideellen Anspruch und technische Möglichkeiten einen Rückbau und Neubau mit stadtbildprägenden Änderungen. Dem neu Enstandenen steht immer der Verlust des alten Bildes der Stadt mit gleichzeitigem Verlust von Identität im Positiven und im Negativen gegenüber.

 

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